Sonntag, 2. Juli 2017

Mariä Heimsuchung - Das Magnifikat





Plinio Corrêa de Oliveira
     Das Fest Mariä Heimsuchung ist verbunden mit dem Magnifikat, das die Muttergottes bei dieser Gelegenheit gesungen hat.

     Das Magnifikat scheint mir ein Meisterwerk von folgernden Überlegungen, die den Geist Mariens sehr klar anschaulich machen, das heißt, es zeigt uns die logische Struktur ihres Geistes. Es zeigt uns auf erstaunlicher Weise, wie sie im äußersten Zustand der Freude und Verzückung die rationale Struktur eines Gedankenganges beibehielt.

     Es ist schön festzustellen, wie sie alle Eigenschaften Gottes vor allem im Hinblick auf seine Macht und Größe besungen hat. Dies ist einer falschen süßlichen Frömmigkeit ganz fremd, die sich fast ausschließlich auf die Barmherzigkeit Gottes fixiert. Sicherlich müssen wir auch die Barmherzigkeit Gottes rühmen auf Ewig, denn ohne seine Barmherzigkeit wären wir nichts. Doch darf man nicht einer Einseitigkeit verfallen und damit die göttliche Macht und Größe beiseite lassen oder gar vergessen. Beides, Barmherzigkeit und Macht, muss man in gleicher Weise immer berücksichtigen.

     Und das sieht man im Magnifikat: Es spricht von Größe und Macht aber auch von der Barmherzigkeit, als eine der Äußerungen der Größe Gottes.

    
Ich werde also das Magnifikat unter diesen zwei Aspekten kommentieren: 1. Es ist in seinem Gedankengang ein äußerst rationaler und strukturierter Text, der eine These beinhaltet, ganz im Gegensatz zu einer nur emotionalen Frömmigkeit. 2. Die Hervorhebung der Größe Gottes, jedoch mit einem glühenden Hinweis auf seine Barmherzigkeit.



   Das Magnifikat hat die Eigenschaften einer These.

   Die ersten zwei Verse sind die These:

    „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“

   Dann kommen die Gründe.

   Erster Grund:

    „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter!“

    Sie preist Gott, weil er ein großes Werk vollbracht hat: Aus einer einfachen, demütigen Magd hat er eine Königin gemacht, die alle Geschlechter seligpreisen werden. Dies ist eine Äußerung der Macht Gottes.

    Ein anderer Grund:

    „Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilige.“

    Er hat an ihr Großes getan, dies veranschaulicht  seine Größe. Deshalb preist sie den Herrn.

    Ein weiterer Grund:

    „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten.“
   
  Sie preist ihn, weil seine Barmherzigkeit sich über die Geschlechter, die ihn fürchten, hinweg ausbreitet. Auch dies ist eine Äußerung der Größe und der Barmherzigkeit Gottes.

    Man beachte, dass Gott sich nur derer erbarmt, die ihn fürchten, die also um seine Größe wissen und vor dieser Größe sich fürchten. Diese Furcht bedeutet nicht Ängstlichkeit sondern es ist eine ehrerbietige Furcht, Ehrfurcht genannt. Es ist die Furcht, die aus der Einsicht und Annerkennung der Größe, der Heiligkeit und der Güte Gottes kommt.

  Der nächste Vers gibt einen weiteren Grund, die Größe des Herrn zu loben:

    „Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten; er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind“.

    Gott ist groß und mächtig, nicht im Verhältnis zu denen, die ihn fürchten, sondern zu denen, die ihn nicht fürchten. Diesen gegenüber hat er die Macht seines Armes kund getan und zerstreut die Bösen, in deren Herzen sich hochmütige Gedanken bilden.

    Gott ist groß in seiner Fähigkeit diejenigen zu treffen, die ihn nicht fürchten.

    Hier offenbart sich die Größe Gottes in seinem Zorn, nachdem die Größe seiner Barmherzigkeit gelobt wurde.

    Wir sehen hier, wie dieser Lobgesang ausgeglichen ist, wie er die Größe Gottes in all seinen Eigenschaften verkündet. Wie ist das doch verschieden von der Einseitigkeit der süßlichen Frömmigkeit, die Gott nur unter der Sicht der Barmherzigkeit und der Nachgiebigkeit betrachtet, ohne den Ausdruck seiner Größe einzubeziehen.

    Ein weiterer Grund:

    „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“.

    Die Mächtigen von ihrem Thron stoßen, bedeutet nicht, jemanden, der auf eine Thron sitzt und Macht hat, herunterzustürzen und durch einen Niedrigen zu ersetzen. Dies wäre ein Unsinn, denn dieser Niedrige würde ja sofort mächtig sein und müsste ebenfalls dann gestürzt werden. Wenn der Vers sagen würde, er stürzt die Mächtigen vom Thron und macht alle gleich, dann hätte es einen schlechten Sinn, wäre aber doch sinnvoll.

    Aber diese Art von Riesenrad von der Erhöhung der Niedrigen und dem Sturz der Mächtigen, um dann die mächtig gewordenen Niedrigen wiederum zu stürzen, macht keinen Sinn. So darf das nicht verstanden werden.

    Wer ist dann der Mächtige und wer der Niedrige? Der Niedrige oder Demütige ist der, der sich so verhält wie Maria in diesem Lobgesang: Er erkennt Gott alles zu, sieht Gott als den Ursprung alles Guten, die Quelle aller Macht, ohne dem wir in der übernatürlichen aber auch in der natürlichen Ordnung nichts vermögen. Er ist die Mitte aller Dinge und der Herr, der über alles gebietet.

    Niedrig waren zum Beispiel die Mächtigen, von denen Maria abstammte und dadurch auch Jesus abstammte. David war ein mächtiger König, der in seiner Machtausübung starb. Er war aber demütig (niedrig), weil er ein Diener Gottes war und alles das einsah.

    Die Mächtigen, von denen im Lobgesang der Muttergottes die Rede ist, sind diejenigen, die das nicht einsehen, die meinen ihre Macht ohne den Beistand Gottes ausüben zu können.

    Deshalb stürzt Gott die Mächtigen und erhebt die Niedrigen. Dies ist ein Ausdruck der Größe Gottes, der über jede menschliche Macht lacht und spottet. (vgl. Ps 2,4)

    Er überträgt Macht dem Demütigen und dieser wird mächtig; er nimmt die Macht des Hochmütigen, der nur sich selbst vertraut, und er wird zu Nichts.

    Es ist die Größe Gottes, neben der menschliche Größen nichts sind.

    Nächster Vers:

    „Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“

    Die Hungernden, die Armen im Geiste, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, diese beschenkt er reichlich mit Gaben. Die, die nicht nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, die den irdischen Gütern behaftet sind, lässt er leer ausgehen. Das heißt, die Reichen sind nichts für ihn. Gott macht aus Reiche Arme und aus Arme Reiche wie es ihm beliebt.

    Im nächsten Vers vernehmen wir einen weiteren Ausdruck von Gottes Größe: Den Schutz, den er dem auserwählten Volk verleiht.

    „Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“

    Das heißt, auch in dem, was Gott verspricht, ist er großzügig: Er erhält seinen Bund bis ans Ende.

    Wir stellten also fest, wie dieser Lobgesang eine These beinhaltet, die bis zum Schluss begründet wird und wie ausgeglichen die Größe und Barmherzigkeit Gottes besungen werden. Die Größe Gottes in seiner Barmherzigkeit; die Größe Gottes in seiner Gerechtigkeit; die Leere aller Menschen im Angesicht Gottes; die Herrschaft Gottes über das ganze Universum. Es ist eine Triumphhymne an die Größe Gottes.

    Als Elisabeth Maria begrüßte und sie als gesegnet unter allen Frauen und Mutter des Herrn preiste, zeigte sie, dass sie sich als ein Nichts vor der unendlichen Größe Gottes betrachtete. Sie gab dies auf hervorragende Weise in dem Lobgesang zum Ausdruck, mit einer Ausgeglichenheit der Gefühle, in einem rationellen Aufbau der Begründungen ihres Lobpreises, dass man ihn mit dem Argumentenaufbau der Summa Theologica des Thomas von Aquin vergleichen kann.

      Diesen Lobgesang dichtete sie unter Eingebung des Heiligen Geistes, als sie von Elisabeth gegrüßt wurde. Doch in ihren wenigen Äußerungen, die im Evangelium registriert sind, ist die rationale, logische Eigenschaft ebenfalls sichtbar. Als ihr, zum Beispiel, durch den Engel mitgeteilt wurde, dass sie die Mutter des Erlösers sein würde, antwortete sie mit einem reinen rationalen Einwand: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Sie hatte ja das Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt. Als der Engel ihr erklärte, wie es geschehen sollte, antwortet sie fast wie in einem Syllogismus: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“.

      Ihre Antwort ist ein Folgesatz: Sie erwähnt ein Prinzip und die entsprechende Folgerung.

      Ebenso als sie den Knaben Jesus im Tempel wiederfindet: Ihre voll Kummer und Angst gestellte Frage, erfordert wiederum eine Erklärung: „Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.“

      Hier verstehen wir, dass der katholische Geist rational sein muss, voller Vernunft, Denkvermögen und Dichte in allem, was er tut und sagt.



      Die Muttergottes, Sitz der Weisheit, steht für uns als Vorbild der Zweckmäßigkeit, der Erwägung und der Mäßigung im Denken und Sagen. Wenn wir das Magnifikat analysieren, werden wir sehen, dass es kein überflüssiges Wort enthält, kein Gedanke, der nicht am richtigen Ort wäre. Es ist ein vollendetes Kleinod, an dem jeder Stein seinen eigene Schliff hat, um insgesamt ein prachtvolles Bild zu geben.

  Hier haben wir ein Bild vom Geist Mariens, der viel erhabener ist, als die läppische Gefühlsduselei und leere Begeisterung einer sentimentalen Frömmigkeit. Es ist etwas, was aus der Vernunft entspringt und nicht aus dem Eifer der Gefühle oder einer unüberlegten Spontaneität.



      So verstehen wir auf beschreibender Art, dass, was wir auf anderer Weise über die Muttergottes wissen: Sie ist der Sitz der Weisheit. Wir verstehen nun auch, was es heißt, den Geist Mariens zu besitzen und ihr Diener oder Sklave (wie es der hl. Ludwig von Montfort bezeichnet) zu sein. Es bedeutet, sich bemühen diese Weisheit, diese Ausgewogenheit,  zu besitzen, bei der die Vernunft vom Glauben beherrscht und geleitet wird und die Gefühle im Dienste der Vernunft stehen. So dass die Gefühle schwingen, wenn es die Vernunft zulässt und ihr Schwingen einstellen, wenn die Vernunft es so befiehlt. Und wenn die Gefühle nicht mit der Vernunft zum Schwingen kommen, so ist es die Vernunft die obsiegt und nicht die Gefühle. Dies sind geistige Regeln für die Nachfolge Mariens aus ihrem geistigen Hauptwerk, dem Magnifikat.

      An einem anderen Punkt möchte ich noch erinnern: Als Maria Elisabeth begrüßte und das Kind (Johannes) ihre Stimme hörte, hüpfte es in ihrem Leib vor Freude.

      Welche Freude empfinden wir, wenn wir die Stimme Mariens in unserem Herzen hören?

      Bitten wir der Muttergottes, dass sie neben den Prüfungen, die sie uns schickt, uns an diesem Feste außer den Gnaden, die sie uns schenken möge, uns auch Worte vernehmen lasse, die unser Herz mit Freude erfüllen und uns ermutigen alle Kreuze zu tragen, die uns auferlegt werden, um aufrichtig für sie bis ans Lebensende zu leiden.


Dieser Text ist übernommen aus einem informellen Vortrag von Professor Plinio Corrêa de Oliveira, den er am 2. Juli 1963 hielt. Er wurde übersetzt und angepasst für die Veröffentlichung ohne seine Überarbeitung.
 






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